Yin und Yang und Du

„In den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt.“ Albert Camus – Licht und Schatten

In letzter Zeit verlief mein Leben recht betriebsam, lebendig und doch auf eine seltsame Weise relativ gesetzt. Ich schreib am liebsten, wenn es in meinem Herzen stürmt, mehr als nur ein Wind und laues Lüftchen nicht immer große, aber doch bedeutsame Fragen über mich selbst, über andere durch mein Innerstes wirbelt.

Die vergangene Woche war eine Woche voller Aktivität, voller Feiern und gefüllt mit Menschen, sodass ich kaum Zeit für Reflexionen hatte. Wenn ich sie habe, sind meine Stimmung und meine Gedanken hell und klar.

Der Winter kommt und mit ihm kommt der niemals endende Regen, zumindest hier in Südspanien, wo ich mich gerade befinde. Den Großteil des Jahres kennt man diesen Landstrich nur in heiß und staubtrocken. Die Häuser haben keine Heizungen. Wozu? Gegen November hin beginnt der Regen. Es kommen die launischen Stürme, die zwei Tage am Stück aus dunklen Wolkentürmen auf die Erde niederbrechen und einem Nordeuropäer einen Eindruck davon vermitteln, wie eine Sintflut aussehen mag, nur um ihn dann am dritten Tag mit wie Frühsommer anmutendem Sonnenschein vor die Tür zu locken.

Diese Zeit wie der deutsche Herbst ist vielleicht jene, in der unsere dunklere Seite in uns ein neues Licht erweckt. Ich bin mir sicher, dass dieser Satz weiterer Erklärung bedarf.

Jeder von uns hat eine dunkle Seite. Denk einmal über all die Dinge nach, die du an dir bzw. am Menschen generell nicht magst. Schlechte Angewohnheiten, Stimmungen und Denkweisen, von denen uns gesagt wurde, sie wären nicht gut oder angebracht; es gibt vieles, was unsere dunkle Seite ausmacht. Viel zu oft werden sie unterdrückt, ignoriert und schon gar nicht angenommen. Statt zuzugeben, dass sie existieren, ziehen wir es vor, sie als nichtexistent zu beschreiben, zumindest auf unsere Person. Andere Menschen ja, man muss doch nur einmal den Fernseher anschalten. Aber wir selbst sind unverdächtig, etwas Dunkles in uns zu tragen.

Doch es gibt einen Haken. Was du verneinst, beherrscht dich. Was du akzeptierst, gibt dir deine Kraft zurück. Verneine es und das, dem du zu widerstehen suchst, wird bleiben. Das Ganze besteht aus beidem: hell und dunkel.

Wir haben eine Nacht und einen Tag, heiß und kalt, gut und böse, Hass und Liebe und jede in dieser Welt nur denkbare Dualität. Und sie alle existieren, um einem Zweck zu dienen. Das zu wissen und anzunehmen, eröffnet dir die Möglichkeit, das Yin und Yang, das Männliche und das Weibliche, hell und dunkel in dein Leben zu integrieren, den Reichtum und die Gesamtheit deiner selbst zu erfahren.

Du selbst zu sein, ist so eine kraftvolle Erfahrung. In meiner Arbeit mit Klienten bin ich immer wieder erstaunt über die Fallen, die wir uns selbst stellen, für uns kreieren. Ich habe das lang genug selbst gemacht und einige der besten Erfahrungen meines Lebens davon abgehalten, erfahren zu werden. Du fragst vielleicht: „Wenn sie niemals passierten, woher weißt du, dass sie zu den besten Erfahrungen gehören?“ Eine berechtige Frage!

Wenn eine Erfahrung nicht zur Realität wird, dann werde ich von dem verfolgt, was hätte sein können. Ich bin mir sicher, dass du das kennst. Es gibt wohl kein menschliches Wesen, das nicht zumindest einmal im Leben diese Erfahrung gemacht hat, etwas nicht erlebt zu haben und dann vom Gedanken daran geplagt zu werden, was hätte sein können. Wir finden uns häufiger in dieser Situation wieder, wenn unsere Stimmung unten ist, wenn wir Möglichkeiten nicht ergreifen, weil sie es doch sowieso nicht wert erscheinen.

Hochs und Tiefs sind Teil unseres Lebens. Unsere Gesellschaft ist darauf erpicht, immer „gut drauf zu sein“ und deklariert das Nicht-gut-drauf-Sein als unangebracht – etwas, das hier nicht hingehört und nur eine Daseinsberechtigung erhält, um etwas dagegen zu unternehmen.

Indem du eine Sichtweise übernimmst, die auch das Dunkle als sinnvollen, zweckvollen Teil deines Selbst akzeptiert, akzeptierst du dich selbst jetzt in diesem Augenblick und kannst so die ganze Bandbreite deiner Selbsterfahrung erleben. Komm aus der Stimmung hinein ins Jetzt. Lass die Stimmung zu, aber lass sie dich nicht kontrollieren. Nimm sie ganz einfach an.

Du kannst jetzt die volle in diesem Moment verfügbare Erfahrung machen. Nutze die Möglichkeit, um mehr über dich zu erfahren. Du bist du in all deinem Reichtum, in diesem Moment, mit deiner Stimmung als Begleitung, und lebst für diesen Moment. Deine Gefühle sind ganz einfach da. Indem du sie akzeptierst, öffnest du dich und lässt neue emotionale Energien in die fließen.

Wir alle kenne diese Menschen, die so frei sind, die im Gang eines Supermarktes tanzen können, die an einem sonnigen Tag mitten auf der Straße die Augen schließen und das Leben atmen. Ich bewundere diese Menschen. Frei zu sein, heißt, dir selbst Freiraum zu geben in dem, wie du bist und welche Seinsweisen du dir erlaubst. Bist du bereit, dich zu befreien? Es ist deine Entscheidung.